home

sommerwetter

Mir war nie aufgefallen, dass hier jeder Grasstreifen ein übervoller Garten ist. Alles sprießt saftig über sich hinaus, jeder Tag ist feucht und das nächste Gewitter immer nur ein paar Minuten entfernt. Ich muss mich oft wo unterstellen um dem Regen zu entgehen. So viel Wasser. Die Sturmböen kommen wieder einmal aus dem Nichts. Ich muss den Wald verlassen. Darin ist niemand außer mir, ein Freitag Vormittag. Um nicht von Ästen erschlagen zu werden muss ich in die Vorstadtsiedlung ausweichen. Häuser im Salzkammergut-Stil mit dunklem Holz oben und weißem Putz unten. Häuser mit Flachdächern, komplett in grau und weiß. Die Bewohner der Häuser preisen auf Schildern an, dass sie Tupperdosen verkaufen oder esoterische Heilpraktiken betreiben. Manche bewerben auf den Heckscheiben ihrer Autos das nächste Fest der freiwilligen Feuerwehr. Ich habe Blumen gesammelt mit weißen, gelben und lilanen Blüten, denn so blüht hier auf den Wiesen alles. Einen Stock trage ich auch noch in der Hand, in der anderen die Hundeleine. Zum ersten Mal kann ich das alles hier wirklich genießen. Die weißen, gelben und lilanen Blüten, den Wald, der so mystisch wirkt, die gute Luft vor dem Sommergewitter und die Schilder an den Häusern. Je weniger ich hier wirklich zuhause bin, desto mehr fühlt es sich wie zuhause an.

Im Wald kenne ich mich inzwischen nicht mehr aus, weshalb ich nicht weiß in welcher Siedlung ich angekommen bin. Es könnte die sein, in der zwei Mädchen gewohnt haben mit denen ich in die Volksschule gegangen war. Die Eine traf ich danach noch manchmal im Bus. Ich war immer neidisch auf ihren Austausch in Amerika. Außerdem wohnten da noch die Großeltern eines Bekannten. Als er einmal eine Party dort feierte trank ich so viel, dass ich kaum noch gehen konnte. Ich hatte es danach ja zum Glück nicht weit. Ich versuche an den Häusern zu erkennen ob ich wirklich dort bin, wo ich glaube zu sein. Aber die immer gleich aussehenden Neubauten, die inzwischen gebaut wurden machen mir das unmöglich.

Ich komme an die zentrale Straße der Siedlung und erkenne, dass ich in der bin, wo mein bester Volksschul-Freund gewohnt hat. Sie hatten ein kleines blaues Haus mit einem kleinen kahlen Garten. Ich war nicht oft dort zu Besuch, weil seine Eltern immer jede Minute seiner Freizeit mit irgendwelchen Aktivitäten vollplanten. Dann gingen wir manchmal zu seinem Nachbarn rüber, denn der hatte eine Modelleisenbahn im Keller. Die fuhr dann durch Berge, Täler und Dörfer. Er lernte nie meinen Namen und ich lernte nie mehr jemanden mit einer so ausgeklügelten Modelleisenbahn kennen. Ich überlege wieder in den Wald zu gehen um nicht die baumlose Straße, die zwischen den Feldern verläuft nehmen zu müssen aber die Sturmböen sind zu stark. Selbst im Hochsommer sind die Felder grün oder golden, nie gelb verdorrt oder braun. Auf einem stehen jetzt Bienenstöcke. Dort haben wir als Kinder einen Pfeil gerade über uns in die Luft geschossen und wer am längsten stehenblieb hatte gewonnen. Lange hat sich das nie wer getraut. Die zwei knorrigen alten Bäume, die früher am Straßenrand standen sind jetzt weg aber dafür ist inzwischen eine schwarze Wolke vor die Sonne gerückt. Ich gehe entlang der Bahnstrecke, die nach Deutschland führt. Sie ist kaum zu erkennen hinter den großen Büschen und kleinen Bäumen die an der Böschung zu ihr hochwachsen. Nur hören tut man sie gut. Jedes Mal wenn ich aus Deutschland zurück nach Österreich fahre, versuche ich vom Zug aus das Haus meiner Eltern zu sehen aber durch das Dickicht erkennt man nichts. Um die Strecke zu überqueren muss ich durch ein kleines Viadukt an dessen Wänden einmal Graffiti war. Nirvana, Korn, Skater-S stand da geschrieben. Eines Tages wurde alles übermalt und seither hat niemand was Neues hingemacht. Dafür haben irgendwelche Kids in einem anderen Tunnel in der Nähe ihre liebe zu Fortnite verewigt. Auch das Skater-S ist überliefert worden.

Zurück im Garten meiner Eltern leine ich den Hund ab. Die schwarzen Wolken, die mich aus dem Wald vertrieben haben sind vorbeigezogen ohne abzuregnen. Die Luft ist heiß und feucht. Ich binde die Blumen zu einem Kranz und hänge sie an einen der Bäume.